»Mein Lexikon der Gemeinplätze«

Gemeinplatz: Jugendstil

Für Stilkundige bitte immer "reinster", also "reinster Jugendstil."



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Gemeinplatz: übertreiben

Immer “maßlos.”



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Gemeinplatz: aalglatt

Derart ist jede (fiktive) Person zu bezeichnen, die im Rahmen einer Geschichte zwar als unsympathisch charakterisiert werden soll, von der der Erzähler jedoch nicht die geringste Vorstellung hat, wodurch sie sich eigentlich wirklich auszeichnet und vor allem weshalb sie so handelt, wie sie es tut.



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Gemeinplatz: Schauspieler (Bühne)

Schauspieler nach der Vorstellung fragen, wie sie sich nur immer den ganzen Text merken können.



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Gemeinplatz: Weg (Ziel)

Keine Frage, es gibt seltene Fälle, wo die Behauptung "Der Weg ist das Ziel" mehr ist, als nur ein Gemeinplatz. Dann nämlich, wenn der unmittelbare Nutzen einer Tätigkeit der Gewinn sein soll. Oder wenn die Tätigkeit symbolischen oder rituellen Charakter hat. Ich frage mich allerdings, ob diese seltenen Fälle beim allgemeinen Gedränge gegebenenfalls überhaupt noch aufzufinden wären.

Der zitierte Satz ist darum so verführerisch, weil die enthaltene Paradoxie, die ja wohl zum Nachdenken über allzu große Strebsamkeit und vernachlässigte Augenblicksliebe anregen soll, meistens nicht als solche erkannt wird. Dies ist auch einer der Gründe, warum sich dieser Gemeinplatz einfach nicht abzunutzen scheint. Und weshalb (wie bei "Wer zu spät kommt…") diese Weisheit so spielend leicht von jedermann angewendet werden kann. Schließlich streben in der natürlichen Welt alle irgendwo hin, so dass sie immer und an jeder Stelle dabei ertappt werden können. Und selbst wenn sie nirgends hinstrebten, müssten sie den Beweis doch schuldig bleiben.

Im Übrigen kann man das Sujet auch gegenteilig auslegen: »Es gibt ein Ziel. Aber es gibt keinen Weg; was wir Weg nennen, ist Zögern" schrieb einst in einer sinnigen Stunde Franz Kafka in seinem berühmten Brief an den Vater und war da wohl vor allem eines: auf dem Holzweg*. Aber immerhin half er mir damit, endlich wieder zu natürlichen Begriffen heim zu kehren, dort hin, wo das Ziel das Ziel ist und der Weg dort hin der Weg. Danke.


*Natürlich gehe ich fest davon aus, dass Kafka aus einer gequälten Reaktion auf diesen offenbar damals schon verbreiteten Gemeinplatz heraus derart gekontert hat.



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Gemeinplatz: Glas (Wasser)

Im Zweifelsfall immer lieber halb voll, als halb leer.



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Gemeinplatz: E-Musik (modern)

Immer "Zwölftonmusik."



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Gemeinplatz: Globalisierung

Behaupten, dass diese zwar generell ein Übel sei, man sie aber nicht aufhalten könne.



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Gemeinplatz: Kennedy, John F.

"Ich bin ein Berliner" zitieren.

Besserer Mensch.



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Gemeinplatz: Geld

"Macht nicht glücklich" – am besten mit dem Zusatz "…aber es beruhigt" anzuwenden.



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Gemeinplatz: Anglizismen

Niedergang der deutschen Sprache gegenüber dem Englischen beklagen (so wie bereits im 16. und 17. Jahrhundert gegenüber dem Lateinischen oder dem Italienischen, im 18. und 19. Jahrhundert gegenüber dem Französischen, Lateinischen oder Griechischen und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert gegenüber allem zusammen mitsamt dem Rest).



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Gemeinplatz: Fantasy-Helden

Sind am besten lebenslang auf der Suche nach den Mördern ihrer Eltern.



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Gemeinplatz: Frauen (erfolgreiche)

Derartige Götterwesen haben sich in der öffentlichen Berichterstattung dadurch auszuzeichnen, dass sie “mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen."



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Gemeinplatz: entpuppen (sich)

In Analogie zur Schmetterlingsraupe etwas "sich entpuppen" zu lassen, war mal vor langer, langer Zeit ein echt origineller Ausdruck.



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Gemeinplatz: Künstlerwitwen

Künstlerwitwen, vor allem von Schriftstellern und Komponisten, sollten stets verdächtigt werden, an wesentlichen Werken des betreffenden Künstlers mitgearbeitet oder diese sogar zur Gänze verfasst zu haben.



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Gemeinplatz: Filmschauspieler

Annehmen, dass alle FilmschauspielerInnen grundsätzlich auch außerhalb des Drehbuchtextes etwas Wesentliches über sich, die Welt oder den sie betreffenden Film mitzuteilen hätten (gilt vor allem für die Redaktionen von Illustrierten und die Hersteller von DVDs mit Bonusmaterial).



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Gemeinplatz: Zitate (Bühne)

Zitate aus Bühnenwerken ungeprüft als weisheitsvolle Stimme des Autors auffassen – ungeachtet der Tatsache, dass sich der Sinn dramatischer Werke für das Publikum nicht durch die einzelnen Repliken erschließen lässt, die ja meist eine extreme Ansicht einer bestimmten Partei wiedergeben, sondern erst durch deren kontroverses Zusammenspiel. Den Vorwurf der Pedanterie darf man sich ruhig gefallen lassen, aber Faust ist und bleibt eben als Mensch ein Irrender, wohingegen Mephisto als ausgemachter Lügner gelten darf. Wenn man sie allerdings beide sprechen lässt, so dürfte man dazwischen am Ende doch etwas Wahrheit von ihnen erfahren.



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Gemeinplatz: Schweigen (kollektives)

Bitte immer in der Redewendung “auf eine Mauer des Schweigens treffen.”



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Gemeinplatz: Herkunft (dunkelhäutig)

Ein Dialog, über den sich jeder deutsche Staatsbürger mit noch so entferntem "Migrationshintergrund" ein Leben lang immer wieder freuen kann, lautet in etwa so:

A: »Und wo kommst du her?«
B: »Ich? Deutschland.«
A: »Nee, ich meine so ursprünglich.«



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Gemeinplatz: China

"In China essen sie Hunde."

Darüber streiten, ob es in Prinzip das Gleiche oder etwas Verschiedenes sei, wenn man zum Beispiel eine Kuh oder eben einen Hund esse.



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Gemeinplatz: Million (Geld)

Behauptete man noch bis zum Ende des letzten Jahrtausends, "die erste Million ist die schwerste", so beweist man abseits des in den Speckgürteln der globalisierten Welt inzwischen herumlungernden Millionärsproletariats immer wieder ganz besonderen Esprit mit dem Scherz: "Die erste Milliarde ist die schwerste." Ha. Ha.



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Gemeinplatz: Schokolade

"Macht glücklich."

Gegebenenfalls noch auf "bestimmte Endorphine" hinweisen, die angeblich durch Schokolade ausgeschüttet werden.



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Gemeinplatz: Teflonpfanne

"Die Teflonpfanne kommt aus der Raumfahrt" (was nicht stimmt – tatsächlich ist sie eher ein Ergebnis der ersten Atombombe im Manhattan-Projekt, was sich allerdings bei Hausfrauen wohl nicht so gut verkaufen ließ…).



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Gemeinplatz: anerkennen

Am besten immer "neidlos."



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Gemeinplatz: Frauen und Kinder

Bei zivilen Kriegsopfern immer von “wehrlosen Frauen und Kindern” reden (früher durfte man noch "Alte" einbeziehen). Man tut dies gerade so, als ob jeder erwachsene Mann ein Soldat und als solcher gegen Tretminen, Fliegerbomben und Lenkraketen gefeit wäre, bzw. so als ob das Leben eines erwachsenen Mannes (ob Soldat oder Zivilist) bei den Hinterbliebenen weniger Trauer nach sich zöge als das von Alten, Frauen und Kindern.



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Gemeinplatz: Wissenschaftler (amerikanische)

Ist eine bedeutende wissenschaftliche Entdeckung zu vermelden, schreiben Sie bitte immer “Amerikanische Wissenschaftler ermittelten…“ (und keinesfalls “Wissenschaftler aus Japan, China, Indien, Pakistan, Österreich und Deutschland ermittelten während ihres vorübergehenden Forschungsaufenthaltes in den USA…“).



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Gemeinplatz: Seiten (zwei)

Gemeinplatz: Seiten (zwei)

Behaupten Sie bitte bei jeder verfahrenen Situation, "alles hat zwei Seiten" (und nicht drei, vier, fünf oder sehr viele). Folgerichtig gehören im Streitfall auch "immer zwei dazu", so dass man niemals Partei ergreifen und sich riskant für die gerechte Seite stark machen muss.



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Gemeinplatz: Berufswunsch

Gemeinplatz: Berufswunsch

"Irgendwas Kreatives und was mit Menschen."

Ergänzend darf es auch ”etwas im Freien" sein bzw. will man "nicht den ganzen Tag in einem Büro sitzen."



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Gemeinplatz: Wetter

Gemeinplatz: Wetter

Wohl seit Jahrtausenden die unbestrittene Schönheitskönigin unter allen Gemeinplätzen.



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Gemeinplatz: Computerspiele

Gemeinplatz: Computerspiele

Allesamt "Killerspiele."

Ohne wissenschaftliche Grundlage behaupten, dass dieselben Schuld seien an den Amokläufen, weswegen sie verboten gehörten.

Alternativ behaupten, dass wenn man schon verdreht sei, sie Gewalttätigkeit auslösen könnten, dass sie ansonsten aber harmlos seien. Dabei ebensowenig mit Belegen aufwarten können.