Dossier: Grandiose Flops



Es klingt wie eine Binsenweisheit, doch das Leben ist und bleibt letztlich eine unendliche Reihe von Flops. Wer heiratet schon den Partner, dem er es in zarten Jugendjahren versprochen, wer arbeitet nicht in jenem verhassten Beruf der Eltern, dem sich zu verweigern er vor aller Welt einst gelobt hatte? Die Rosen im Garten werden von den Läusen erledigt, der neu eröffnete Kiosk steht auf der falschen Straßenseite, das jüngst erworbene Kleid ist halt doch zu eng und der gute Kumpel erweist sich am Ende als dummer Versicherungsvertreter.

Doch nicht nur im persönlichen Bereich werden wir mit Flops konfrontiert. Raumfahrt zum Beispiel. Was hatten wir uns nicht alles von ihr erhofft in unserer Jugend? Reisen zu anderen Planeten, romantische Weltraumspaziergänge, Sex in der Raumstation, Wurmlöcher und Begegnungen mit Außerirdischen.


Tatsächlich werden bis heute staubhirnige Wissenschaftler nicht müde, uns zu erläutern, dass überlichtschnelle Reisen absolut unmöglich seien und sich das außerirdische Leben vermutlich im Mikrobenbereich abspiele. Nicht einmal die Geschichte mit der Teflonpfanne ist wahr! Oder Kommunismus. Die Enttäuschung des 20. Jahrhunderts. Dasselbe ließe sich von der Wiedervereinigung sagen. Oder von der antiautoritären Erziehung. Von Verkehrsberuhigung gar nicht erst zu reden.

Nein, es hat keinen Sinn mehr, sich der schlichten Wahrheit zu verschließen, dass Flops so zum zivilisierten Leben gehören wie die Ungleichverteilung von Gütern oder Probleme mit der Abwasserentsorgung. Doch je eher man einsieht, dass das Leben keine Reihe von durch Flops unterbrochenen Erfolgen ist, sondern dass es sich vielmehr genau umgekehrt verhält, umso größer sind paradoxerweise die Chancen, auf ein bisschen Glück. Dabei beginne ich allmählich den Sinn des von mir geschmähten Ausspruchs »Der Weg ist das Ziel« zu erfassen. Das sagt man so, weil wir insgeheim wissen: Der Weg zu einem Ziel könnte Spaß machen. Vorausgesetzt man verdirbt sich die Angelegenheit nicht mit der Hoffnung auf ein Ziel. Dieses wird nämlich ein Flop.

Als mich Mitte der Neunzigerjahre endlich die Erkenntnis ereilt hatte, dass nicht alle Projekte, die mir als denkbar und wünschenswert erscheinen, auch realisiert werden müssen, bin ich folgerichtig Schriftsteller geworden. Ich schreibe auf, was ich mir wünsche, aber in Wirklichkeit gar nicht erreichen will. Das gilt im Übrigen auch für geplante Niederlagen. Natürlich der anderen. Seither sind Verlierer meine Helden und Malheurs meine Sujets. Den Schritt zurück aber, die Erkenntnis nämlich, dass nicht nur gedachte, sondern real gescheiterte Projekte selbst einen Wert haben, und sei es nur ein ästhetischer, verdankte ich der Berliner Künstlergruppe Kulturmaßnahmen.

Was es damit auf sich hat und welch wunderbar verkorkste Barockperlen sich so aus meinen Projektarchiven zu Tage fördern lassen, darüber will ich in diesem Dossier berichten.


:: Teil 1: Das "DNCP-System" in der »Show des Scheiterns«
:: Teil 2: Das "DNCP-System" und die »Show des Scheiterns« im Dschungel (SWR2 Radio)
:: Teil 3: Kids for Future – Ding dang dong
:: Teil 4: Popstar - Ein Jahr Ruhm und den Rest des Lebens Frieden