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In meinem dritten Eintrag zu den ganz großen Flops soll es diesmal um Weltpolitik gehen.
Doch um es gleich zu sagen: Es war nicht im eigentlichen Sinn "mein" Projekt. Ich war dabei. Nur gehörte ich nicht dazu. Ich hab zwar mitgemacht. Ich war aber nicht verantwortlich. Ich war nur ein Hilfswilliger, ein Mitläufer, ein Befehlsempfänger auf dem Wege zu einer besseren Partywelt. Natürlich trifft mich keine Schuld und von einer solchen sage ich mich vorsorglich an dieser Stelle auch rundum los. Wenn damals jemand schuld trug, dann waren es selbstredend immer nur die anderen. Und es soll hinterher keiner behaupten, ich hätte vorher wissen können, wo das alles hinführt: nämlich nirgends. Was war geschehen? »Die Welt retten, Spaß haben und dabei Geld verdienen« - frei nach diesem Motto war eine lustige Truppe von Münchner Party-Tigern im Jahre 1995 angetreten, um als »Kids for Future« dem französischen Staatspräsidenten mal gehörig die Meinung zu geigen. |
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Vorausgegangen war eine Meldung, wonach die französische Staatsregierung unter Führung von Präsident
Jacques Chirac, weit weg von zu Hause, im südpazifischen
Mururoa-Atoll,
mal wieder ein A-Bömbchen oder ihrer zwei hochgehen zu lassen gedachte. Unterirdisch, versteht sich. Fast verborgen vor den Augen einer erschreckten Öffentlichkeit, die doch gerade erst die Unbill des kalten Krieges überwunden zu haben glaubte, sollte mal eben allen aussteigewilligen Kolonien die Stärke der Nation demonstriert werden.
Die Franzosen, arrogant wie sich Atommächte nun einmal zu benehmen pflegen, ließen sich natürlich von keinem noch so lauten Protestgeschrei beirren. Viel fehlte nicht, doch immerhin sah man in diesem Jahr wenigstens davon ab, den Super-Cruiser Rainbow Warrior der unerschütterlichen Lichtritter vom Orden des Grünen Friedens fachgerecht zu versenken, wie weiland geschehen im Jahre 1985 vor Neuseeland.
Wie auch immer, es war dies die Zeit der spaßigen Bürgerbewegungen: Wiedervereinigung, Lichterkette, Loveparade. Anlässlich des bevorstehenden Atomtests fiel es den eingangs erwähnten Nightlive-Djangos zu München ein, es sei an der Zeit, sich mit einer klingenden Protestaktion ebenfalls in die Analen der Weltverbesserungsgeschichte einzutragen. Und zwar mit einem Protestsong auf Basis eines altbekannten Kinderliedes, doch im Eurodance-Style auf 120 bpm. Die inspirierten Zeilen lauteten so:
pour Jacques
Frère Jacques, Jacques Chira(que)
Dormez vous? Dormez vous?
Sonnez les matines, sonnez les matines,
Ding dang dong, ding dang dong.
(We are the future, can’t you here us? Think about it!)
[Trad. arr. by Knote/Grunitz/Baumann | produced by Andy Knote for Kult enterprises, Birgit Baumann, Pitt Grunitz | together with Wanja Belaga and Peter Huber at Toyco Studios Munich | published by Edition toyco/Siegel co-published by deluxe Verlag]
Für die Tatsache, dass Producer Andy Knote es bei diesem eher durch Schlichtheit glänzendenden Song auf sage und schreibe DREI verschiedene Mixe derselben Einfalt brachte (Radio Edit, Extended Version, Slow Version), hätte, und das ist mein Ernst, allein schon einen Grammy Award verdient.
„Gut gebrüllt“, fand auch die Firma Sony Music Entertainment, die sich nicht entblödete, dem Projekt mit einem satten Vorschuss Leben einzuhauchen. Wobei ich rückblickend beinahe davon ausgehe, dass die Plattenbosse tatsächlich ein politisches Interesse antrieb, fanden die betreffenden Atombombenversuche doch quasi im Hinterhof des damals noch in voller Blüte stehenden japanischen Muttersitzes statt. Und dass man in Japan, als ehemaligem "Atombombentestgebiet", nicht gerade Freude dabei empfand, wenn Goodzilla mal wieder ein paar Eier legt, leuchtet ein.
Mit Spaß gegen die böse Bombe – so oder ähnlich wollten die »Kids for Future« die Welt verändern und Sie, liebe Leser, stellen die richtige Frage, wenn Sie nun endlich wissen wollen: Wer waren eigentlich diese "Kids"? Wir? Die anderen? Oder alle zusammen? Menschenskinder! Ich glaube es waren einfach "die da" oder allgemeiner "sie". Denn Kinder wollen doch sowieso immer nur das Beste für alle und die Welt. Am liebsten malen sie mit Fingerfarben. Irgendwas in der Art.
Über die Motive der anderen Beteiligten mag Gott urteilen, doch für mich als altem Demo-Muffel konnte es nur einen Grund geben, an dieser Clownsnummer mitzuwirken: Geld. Daran war ich eben zu dieser Zeit etwas knapp. Darum und für den kapitalistisch ausbeuterischen Stundenlohn von rund 10,- DM durfte ich fortan Telefonwählscheiben durchrubbeln, dass es eine Freude war. Warum auch nicht? Das angezielte Ergebnis diente ja einer guten Sache.
Weniger als Folge meiner Gespräche mit Pressevertretern (wie z.B. einem argwöhnischen NZZ-Redakteur, der dem Projekt von Vorneherein jegliche Seriosität absprach), sondern eher durch den fruchtbaren Dialog mit engagierten Bündnis 90/Die Grünen-MitarbeiterInnen (die nur im Osten noch so wohlwollend waren, selbst auf den offensichtlichtlichsten Blödsinn herein zu fallen) – am Ende gab’s für mich eine waschechte Demo auf dem Markt zu Leipzig.
Rund 200 unerschrockene Pazifisten hatten sich vor dem Alten Rathaus versammelt, wo ihnen zu eigens bestelltem Kirchengeläut der benannte Song vorgespielt wurde. Weil das dann selbst den gutgläubigsten Aktivisten etwas zu wenig Action war, lief die Entourage singenderweis noch einmal auf dem Markt im Kreise, um schließlich dem Zastrow und seinem zur Unterstützung anwesenden Kumpel ans Leder zu wollen, als nämlich klar wurde, dass die Münchner mit wenig mehr als heißer Luft angereist waren. Wir sind dann auch ziemlich schnell verduftet und zahlten unseren Tribut an die örtliche Bevölkerung später noch in Form eines Autoeinbruchs, dessen Schaden wir bei einbrechender Dunkelheit einem sächselnden Polizeibeamten in die Maschine diktierten.
Die Presse urteilte letztlich milde. Da mir jedoch durch Kollegen von den anderen Demonstrationsorten wie Zürich, Köln oder München berichtet wurde, dass sich die Teilnehmerzahl auf jeweils Plusminus 15 Personen bestimmen ließ, je nachdem, ob die Veranstalter einberechnet wurden oder eben nicht, warte ich bis heute als teilerfolgreichster Demoparty-Organisator auf meine Verdienstmedaille.
Fazit: Die Welt drehte sich. Und wir standen sozusagen dort, wo am wenigsten passiert: im Angelpunkt. Ob der Song sich jemals nennenswert verkauft hat weiß ich nicht. Fest steht aber, dass aus dem Versuch, dem Löwen Frankreich so richtig auf die Zehen zu treten, eher nichts geworden ist. Einzig innerhalb des heimischen Establishment scheint man etwas Magendrücken bekommen zu haben – festzustellen an einem Gerücht, wonach eine große deutsche Bank der Initiative zwischenzeitlich das Girokonto aufgekündigt hätte. Prost Mahlzeit. Das nenne ich einen gelungenen Misserfolg aus München.
Song auf Youtube anhören (Extended Version)
Artwork (Cover + CD) betrachten
Original-Schaltpult Mururoa-Test von 1995
Der rote Knopf